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Abstimmungen vom 30. November 2014

Ethische Orientierungshilfe aus christlicher Sicht.

Der Artikel erscheint in der Ausgabe der November-Nummer des treffpunkt.

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- Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» (Ecopop-Initiative). 

- Volksinitiative «Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre» (Abschaffung der Pauschalbesteuerung).

- Volksinitiative «Rettet unsr Schweizer Gold» (Goldinitiative)

Link zur Website des Bundes zu den Abstimmungen vom 28. September.

«Ecopop»

Ausgangslage

Die InitiantInnen der über 40jährigen Bewegung Ecopop (Ecologie et Population) setzen sich für einen Stopp der weltweiten wie schweizerischen Überbevölkerung ein.

Ausgehend von der Annahme, dass die Belastung für die natürlich Lebensgrundlagen eine Grenze erreicht hat, sehen sie in der Überbevölkerung einen zentralen Grund für die Zerstörung und Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen. Weil die Umwelt nur noch ein sehr beschränktes Wachstum erlaubt, fordern sie mit ihrer im Jahr 2002 eingereichten Initiative, dass die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz nur noch um 0.2% steigen darf. Weiter will Ecopop, dass alle internationalen Verträge, die diesem Ziel entgegenstehen, gekündigt werden müssen. Schliesslich verlangt die Ecopop-Initiative, dass 10 % der Schweizer Entwicklungshilfe-Gelder für eine „würdige Förderung von freiwilliger Familienplanung“ in Entwicklungsländern eingesetzt wird. Dies soll v.a. jene Länder betreffen, in denen es eine hohe Fruchtbarkeitsrate gibt und dadurch die Natur gefährdet wird. Obwohl verschiedene Kreise die Gültigkeit der Initiative bezweifeln, weil durch die Verbindung von Entwicklungshilfe und Zuwanderungsbeschränkung die Einheit der Materie verletzt sei, erklärten Bundesrat und Parlament die Initiative für gültig, lehnen sie aber – wie auch fast alle Parteien – ab.

Entscheidungskriterien

Auf der Sachebene sind es in erster Linie die von den Initianten gemachten Vergleiche, die kritisch betrachtet werden müssen. So hängt der zunehmende Ressourcenverbrauch und das Siedlungswachstum nicht – wie angenommen – von der Zuwanderung ab. Zudem betrifft das Siedlungswachstum in erster Linie Landwirtschaftsland und nicht so sehr Wälder oder „unberührte“ Natur. Grundsätzlich ist es problematisch zwei Entwicklungen (Siedlungswachstum und Bevölkerungswachstum) so miteinander zu verbinden, dass es scheint, die beiden würden einander bedingen. Auch reduziert die Ecopop-Initiative etwa die Entwicklungszusammenarbeit auf Geburtenkontrolle in den betroffenen Ländern.

Auf der Wertebene kann eine unterschiedliche Wertung von Menschen beobachtet werden: im Süden jene Menschen, die zu uns kommen und hier die Natur zerstören; im Norden wir, die wir wissen, dass Geburtenkontrolle gut für alle, insbesondere jene im Süden ist. Diese Tendenz verkennt, dass alle Menschen gleichwertig zu behandeln sind und Solidarität nicht Bevormundung, sondern Hilfe und Befähigung bedeutet. Gerade das christliche Schöpfungs- wie auch daraus abgeleitete Gemeinwohlverständnis verlangt, dass niemand übermässig Lasten tragen soll – etwa die Armen – und andere dafür Vorteile haben – z.B. die Menschen bei uns, die ihren Lebensstil nicht ändern müssen. Hier vereinfacht die Initiative die Komplexität der Verhältnisse zum Nachteil der bereits jetzt Armen und Bedürftigen.

Handlungsoptionen

Natur wie auch der Mensch sind im christlichen Verständnis Geschöpfe Gottes. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Mensch wie auch die von ihm geschaffene und gestaltete Welt einzig durch eine ökologische Brille als Belastung für die Natur betrachtet werden dürfen. Dies wird dann problematisch, wenn v.a. andere Menschen als ökologisches Problem gesehen werden, das eigene Handeln aber ausgeblendet wird. Das Vorschreiben einer bestimmten Form von Familienplanung nimmt andern Menschen ihre Eigenständigkeit und stellt damit letztlich ihre Existenzberechtigung in Frage. Man darf es sich angesichts der grossen Herausforderungen, die sich für die Sorge zur Welt wie auch der Bevölkerungsentwicklung ergeben, nicht so einfach machen wie die Ecopop-Initiative. Diese widerspricht in ihren Grundannahmen dem christlichen Menschen- und Weltverständnis und darf mit gutem (christlichem) Gewissen abgelehnt werden.

 

«Abschaffung der Pauschalbesteuerung»

Ausgangslage

Im Oktober 2012 reichten Kreise rund um die Alternative Liste die Initiative zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung ein. Sie fordert die sog. Besteuerung nach dem Aufwand gesamtschweizerisch abzuschaffen. Diese Besteuerungsart betrifft nur Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz wohnen, jedoch hier keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Für die Steuern entscheidend sind also nicht die tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sondern die Lebenshaltungskosten. Die BefürworterInnen der Initiative sehen in der Besteuerung nach dem Aufwand eine Ungleichbehandlung und Bevorteilung vermögender (ausländischer) Personen und damit eine Verletzung des Gleichheitsprinzips in der Steuerbemessung. Die Initiativ-GegnerInnen heben den Steuerwettbewerb sowie die Einfachheit der Bemessungsmöglichkeit hervor, da die betroffenen Personen meist über komplexe Besitz- und Einkommensverhältnisse verfügen. Auch fürchten die GegnerInnen den Wegzug dieser Einwohner und damit einen Verlust an Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen. Bundesrat und gut zwei Drittel des Parlaments lehnen die Initiative ab.

Entscheidungskriterien

Auf der Sachebene erlaubt die Besteuerung nach dem Aufwand bei einer speziell begrenzten Gruppe von Steuerpflichtigen eine relativ rasche und unkomplizierte Veranlagung. Bemessungsgrundlage ist neu – nicht zuletzt infolge ähnlicher kantonaler Abstimmungen - das Siebenfache des Mietzins- bzw. Eigenmietwertes sowie ein minimales steuerbares Einkommen von 400'000 Franken. 2012 waren 5634 Personen (fast die Hälfte in den Kantonen VS und VD) pauschalbesteuert und zahlten total 695 Mio Fr. Steuern. Volkswirtschaftlich sind damit u.a. auch Arbeitsplätze sowie die Förderung von gemeinnützigen Institutionen verbunden.

Auf der Wertebene steht die Frage der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen (Gerechtigkeit!) der Frage gegenüber, ob zugunsten von (hohen) Steuererträgen bzw. der Furcht, diese zu verlieren, und der „Einfachheit“ der Bemessung (Pragmatismus) sehr reiche Personen anders behandelt werden dürfen. Steuern sind nicht einfach mühsame Preise, die man bezahlt, um leben zu können, sondern Ausdruck davon, dass alle gemäss ihren Möglichkeiten und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zum Wohl aller einen Beitrag leisten müssen. Besitz – ob an Fähigkeiten, Talenten, Land oder Vermögen – verpflichtet in christlicher Sicht zum Teilen, da letztlich alles immer Gott gehört und wir immer im Verbund mit vielen andern Menschen das erreicht haben, wo wir leben. In diesem Sinne ist gefordert, dass alle Steuerzahlenden zuerst als Mittragende des Gemeinwohls ernst genommen, und nicht auf „mobile Steuerertragsfaktoren“ reduziert werden.

Handlungsoptionen

Für den Stimmentscheid stellt sich die „berühmte“ ethische Frage, ob Prinzipien (hier die Gerechtigkeit und Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen: Ja zur Initiative) oder die Folgen (hier die Furcht vor Wegzug und dadurch Steuerausfall sowie grösserer Arbeitsaufwand bei der Bemessung: Nein zur Initiative) stärker gewichtet werden. Die kantonalen Abstimmungen zu dieser Frage sind bisher unterschiedlich ausgegangen. Von Interesse mag sein, dass der Kanton Zürich die Abschaffung der Pauschalbesteuerung annahm und sich trotz über 200 Pauschalbesteuerten (2010) keine gravierenden Nachteile ergaben. Das Zusammenleben in einem Staat ist wohl doch mehr als eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Denn Wertschätzung gerade gegenüber vermögenden Menschen zeigt sich gerade nicht einzig in ihrer Besteuerung.

 

Gold-Initiative

Die Volksinitiative der SVP „Rettet unser Schweizer Gold“ – eingereicht im März 2013 - will, dass die Schweizerische Nationalbank kein Gold mehr verkauft, mindestens 20 Prozent ihrer Aktiven in Gold halten, und dieses Gold zwingend in der Schweiz lagern muss. Die InitiantInnen stossen sich daran, dass die Nationalbank zwischen 2001 und 2006 Goldreserven zu einem schlechten Preis verkauft hat. Sie sieht in der (internationalen) Abkehr von der Goldbasis für die Schweiz ein grosses Risiko in kommenden Währungsturbulenzen. Bundesrat wie auch eine sehr grosse Mehrheit des Parlaments lehnen die Initiative ab.

Die Initiative begrenzt die Handlungsfreiheit der Nationalbank hinsichtlich des Ziels der Preisstabilität. Auf der Wertebene gilt es, das Wohlergehen wirklich aller im Blick zu behalten. Wie dies erreicht wird, zeigen weder Initiative noch die Gegenargumente. Wer in der alleinigen Rückkehr zur früheren Politik, die auch nur bedingt und in einem andern Umfeld erfolgreich war, mehr Sicherheit für die Zukunft sieht, wird eher ja stimmen. Wer trotz allen Mängeln heutiger Geldpolitik auf dem aktuellen Weg Möglichkeiten zur Realisierung des Gemeinwohls sieht, wird ablehnen.