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AbstimmungsurneKleinAbstimmungen vom 25. September 2016

Ethische Gedanken zu den Vorlagen von Thomas Wallimann-Sasaki.

Quelle: treffpunkt Nr. 4/2016.

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Monika Küng, Präsidentin Institutsrat und Grossrätin zur AHV-Initiative (pro) und Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (contra) - auf kath. ch: Link.

 Kommentar von Thomas Wallimann-Sasaki nach der Abstimmung auf kath.ch

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Referendum

«Nachrichtendienstgesetz»

Abstimmung vom 25. September 2016 über das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (NDG) (Referendum). Von Thomas Wallimann-Sasaki


Das Nachrichtendienstgesetz soll eine gesamtheitliche Grundlage für den Nachrichtendienst des Bundes schaffen. Nebst der Polizei, dem Zoll, der Armee sowie der Wirtschafts- und Aussenpolitik ist der Nachrichtendienst ein Element, wie die Schweiz ihre innere und äussere Sicherheit gewährleistet. Der Bundesrat schreibt im sicherheitspolitischen Bericht 2010 dazu: Der Nachrichtendienst „unterstützt die politische und militärische Führung und weitere Dienststellen bei Bund und Kantonen und trägt mit seinen Erkenntnissen und Beurteilungen zu bedrohungsgerechten und breit abgestützten Entscheiden bei. Der NDB richtet den Einsatz seiner Mittel nach den Bedürfnissen und Erwartungen seiner Partner und Leistungsbezüger aus.“ So dürfen künftig Telefone abgehört und Privaträume verwanzt werden. Auch wird es erlaubt sein in Computer einzudringen und Daten von Kabelverbindungen einzusehen. Bedingung für den Einsatz dieser Mittel ist eine schwere Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit wie etwa durch Terrorismus. Zudem braucht es eine Genehmigung durch das Bundesverwaltungsgericht und den Sicherheitsausschuss des Bundesrates sowie die Freigabe durch den Vorsteher des VBS. Gegen dieses Gesetz wurde das Referendum ergriffen, da mit diesem Gesetz der Staat erneut die Möglichkeit bekomme, übermässig in die Privatsphäre einzudringen.

Urteilen

Auf der Sachebene ist festzuhalten, dass sich die Bedrohungslagen stark verändert haben. Die Affäre Snowden (Abhörpraxis des amerikanischen Geheimdienstes) wie auch die Entwicklung der Bedrohung durch Terroranschläge zeigen einerseits Grenzen des traditionellen Nachrichtendienstes/Spionage auf. Doch sie zeigen auch, dass trotz modernster Abhörtechnik die wirklichen Täter nicht im Vorfeld gefasst werden können. Technische Errungenschaften werden zum Guten wie zum Bösen verwendet und entscheidend sind nicht so sehr die technischen Möglichkeiten der Abwehr oder des Abhörens, sondern die Grundhaltungen angesichts der neuen Verhältnisse von Bedrohung und Sicherheit.

Sicherheit und Sicherheitserwartungen – so aus einer wert-orientierten Sicht – haben die Fähigkeit ins Unermessliche erhöht zu werden. Es lässt sich immer „mehr“ davon vorstellen und verbunden mit technischen Machbarkeiten hat Sicherheit eine theologisch/ethisch ähnliche Qualität wie der Himmel. Christliche Weltsicht weiss aber, dass der Himmel auf Erden nicht machbar ist. Sicherheitsversprechen gilt es daher einiges an Skepsis entgegen zu bringen. Zudem muss kritisch abgewogen werden, wer den Nutzen und wer die Lasten trägt. Könnten Minderheiten und Benachteiligte vielleicht aber auch kritische Mitbürgerinnen plötzlich unter Generalverdacht fallen und damit in ihrer Würde verletzt werden, wenn Sicherheitsbestrebungen sich verselbständigen?

Handeln

Die Fichenaffäre Ende der 1980er Jahre zeigte, dass auch in der Schweiz Sicherheits- wie Gefahrenbilder sich unbegründet gegen eigene Bürgerinnen richten und dabei die Grundsätze der Demokratie und des freiheitlichen Staates schnell in Gefahr geraten können. Wer diese Gefahr auch mit dem neuen Gesetz sieht und zudem Sicherheit in ihrer Relativität und Begrenzung auch in der Gesetzgebung umgesetzt wünscht, wird Nein stimmen und das Gesetz ablehnen. Wer in den Zustimmungs-Bedingungen durch Bundesgericht und Bundesrat für die neuen Abhörmöglichkeiten eine genügende Sicherheit gegen Missbrauch sieht und das Gesetz als ausreichende Massnahme gegen moderne Bedrohungsszenarien für die Schweiz sieht, wird eher zustimmen.



Grüne Wirtschaft

«Für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft)» (Volksinitiative)

 

Die im Jahre 2012 von der Grünen Partei eingereichte Volksinitiative will langfristig eine hohe Lebensqualität sichern. Da der Lebensstil in der Schweiz zur Zeit viel mehr natürliche Ressourcen verbraucht als nachwachsen, ist dieser Stil letztlich für die Welt zerstörerisch. Darum verlangt die Initiative, dass der „ökologische Fussabdruck“ der Schweiz bis ins Jahr 2050 von jetzt 2,8 auf 1 reduziert wird. D.h. dass zur Zeit 2.8 Erden nötig wären, wenn alle Menschen dieser Welt so leben würden, wie das heute in der Schweiz gängig ist. Um dieses Ziel zu erreichen soll der Bundesrat Ziele festlegen und Massnahmen ergreifen. Insbesondere soll die Wiederverwertung gefördert und die Wegwerfhaltung bekämpft werden.

Der Bundesrat hielt die Zielsetzung und –richtung der Initiative für richtig und stellte darum einen indirekten Gegenvorschlag mit ähnlichen Zielen aber andern Mitteln zur Diskussion. Das Parlament lehnte jedoch diesen Gegenvorschlag ab und sprach sich auch deutlich gegen die Initiative aus. Sie schränke die Wirtschaft zu stark ein und man zähle vor allem auf freiwillige Massnahmen auf Seiten der Wirtschaft.

Es ist auf der Sachebene unbestritten, dass der Lebens- und Wirtschaftsstil, den wir pflegen, diese Erde zerstört. Wir leben weit über die Verhältnisse. Ohne Massnahmen sind die Aussichten in der Tat schlecht – für alle Menschen!

Entscheidend aber ist, ob man die Handlungshoheit dem Staat oder der Wirtschaft überlässt. Papst Franziskus hat mit seiner viel beachteten Enzyklika „Laudato si“ deutlich gemacht, welche Massstäbe für Christinnen und Christen zählen: Wer nicht Sorge zur Umwelt, die Gottes Schöpfung ist, trägt, nimmt auch die Menschen, insbesondere die Armen und Benachteiligten nicht ernst. Denn die Ausbeutung der Natur geht Hand in Hand mit der Ausbeutung von Menschen. So sehr freiwillige Vereinbarungen auf Wirtschaftsebene vom Subsidiaritätsprinzip her gefordert sind, so deutlich sehen Soziallehre wie auch der Papst, dass gerade beim Schutz der Umwelt und der benachteiligten Menschen der Staat eingreifen muss. Wer die Botschaft des Papstes für die Schweiz umsetzen will, stimmt Ja. Wer trotz allem auf das freiwillige Engagement von Konsumierenden und Wirtschaft zählt, wird ablehnen.

 

AHVplus

«AHVplus: für eine starke AHV» (Volksinitiative)

 

Die 2013 vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund eingereichte Initiative hat ein einfaches Anliegen: sie will die AHV-Renten um 10% erhöhen. Grund für diese Forderung ist die Bundesverfassung, die verlangt, dass die erste Säule den „Existenzbedarf angemessen zu decken“ hat (Art. 112 BV). Bundesrat wie auch Parlament sprechen sich gegen diese Initiative aus. Zum einen sprechen die zusätzlichen Kosten in der Höhe von mehr als 3 Mia. jährlich und die damit zwingend geforderten Beitragserhöhungen (Lohnabzüge (0,4% des Lohnes) oder Mehrwertsteuer (1%)) dagegen, zum andern will der Bund die Problematik in seinem Rentenreform-Paket 2020 angehen. Für die Befürwortenden, zu denen alle grossen Gewerkschaften und zahlreiche Personalverbände gehören, gilt die AHV als sicherste und sozial gerechteste Versicherung. Diese ist um einiges einfach zu sichern als etwa die Pensionskassen und darum zu stärken.

Die Instrumente der sozialen Sicherheit im Alter sind mit AHV, Pensionskassen und individuellem Sparen (3. Säule) aufeinander bezogen und doch unterschiedlich. Während die 2. und 3. Säule nur jenes Geld als Rente auszahlen können, das auch selber angespart wurde, kommt die AHV allen in gleicher Weise zu. Ebenfalls bezahlen alle auf ihren Lohn den gleichen Prozentsatz an AHV-Beiträgen. Die Höhe der einbezahlten AHV-Gelder hängt darum in erster Linie von der gesamten Lohnsumme ab (was von fast allen immer wieder verschwiegen wird), die in der Schweiz ausbezahlt wird und weniger vom Verhältnis der Arbeitenden zu den Pensionierten, auch wenn letzteres auch eine Rolle spielt. Weil die AHV auf dem Umlageverfahren basiert können hier sowohl Beitragserhöhungen wie auch vorhandene Gelder sofort rentenwirksam verwendet werden. Die AHV ist daher weniger von den Launen des Kapitalmarktes abhängig.

Eine 10%ige Erhöhung der AHV-Rente kommt in erster Linie kleinen und mittleren Einkommen zu Gute. Eher nachteilig sind die Auswirkungen für jene, die nebst der AHV noch Ergänzungsleistungen beziehen. Der Bund rechnet mit etwa 12% aller Bezügerinnen, die bei einer Annahme keine Ergänzungsleistungen (die steuerfrei sind) mehr bekommen und daher unter dem Strich trotz AHV-Erhöhung schlechter dastehen bezogen auf das frei verfügbare Geld im Portemonnaie.

Grundlegend ist jedoch weniger die finanzielle, sondern die ethische Dimension: Die AHV ist Ausdruck der Solidarität, wie sie auch im christlichen Kontext verstanden wird: Alle sind miteinander verbunden und die Stärkeren leisten à fond perdu einen grösseren Beitrag für die Schwächeren, weil die Überzeugung gilt, dass alle füreinander da sein sollen. Dieser Grundgedanke steht durchaus in einer gewissen Spannung zum Selbst-Nutzen-Denken eines wettbewerbs- und leistungsorientierten Denkens, das stärker in der zweiten und dritten Säule zum Ausdruck kommt. Kritisch für das christliche Solidaritätsdenken ist an der vorliegenden Initiative, dass gerade jene Menschen, die dank der AHV-Erhöhung aus dem Ergänzungsleistungsanspruch herausfallen, unter dem Strich schlechter gestellt sind. Damit schafft sie gerade am unteren Ende der Einkommen neue Negativ-Betroffene. Wer dies und die Tatsache, dass die AHV nicht auf diesem Weg gesichert werden soll, stark betont, wird eher Nein stimmen. Wer in der Vorlage eine Stärkung des Solidaritätsgedankens in der Rentenversicherung sieht, wird eher Ja stimmen.